Im Königreich des Sonnenuntergangs

Im Königreich des Sonnenuntergangs

Selbst nach neun Monaten Weltreise durch unterschiedlichste Kulturen fiel uns als erstes auf, wie gastfreundlich die Marokkaner waren.
„Welcome to Morocco“, begrüßten uns die Menschen im Land herzlich und hilfsbereit, immer gut für einen Schwatz und durchaus für einen Scherz zu haben.

Wobei die Grenze zwischen Hilfsbereitschaft und Geschäftemacherei in Nordafrika sehr fließend verläuft. Eben noch will dir jemand helfen, den Weg aus dem Gassengewirr der Altstadt zu finden, dann kommt jemand auf dich zu, der einfach nur einen Plausch halten will (wo ist der Hintergedanke, lauert der misstrauische Tourist während des Gesprächs), dann wieder spricht dich jemand in erstaunlich gutem Deutsch an, der dir, wie sich herausstellt, die halbe Stadt zeigen, dich zu einem tollen Restaurant, einem einzigartigen Shop führen und/oder dir Marihuana verkaufen will. Und ein Trinkgeld nimmt er auch gern, my friend.
Eine schmale Gratwanderung: Einerseits will man nicht unhöflich sein und mit ignorantem Tunnelblick durch die Gassen hetzen, andererseits findet man sich, eh man sich versieht, einen Augenblick später in einer endlosen Verkaufsverhandlung wieder, obwohl man eigentlich gar nichts kaufen will.

Was uns in Marokko ebenso faszinierte wie irritierte, war, dass jede Stadt im Land anders ist. Das in Sichtweite zu Spanien am Meer gelegene Tanger, die blaue Stadt Chefchaouen in den Bergen mit ihrer unaufdringlich-entspannten Atmosphäre, Fès mit seinen beinahe schon beklemmend engen mittelalterlichen Gassen, Meknès fernab von allem Trubel (wo man sich allerdings am zweiten Tag auch schon fragte, was man sich in der Stadt, in der fast alle Sehenswürdigkeiten geschlossen waren, noch ansehen sollte), Casablanca mit dem klingenden Namen, das sich als erstaunlich gesichtslose Hafenstadt erwies, und schließlich Marrakesch mit seinen riesigen Souks, den bunten Märkten der Altstadt, in deren engen Gassen man wirklich alles kaufen kann, während gefühlt halb Marokko mit dem Motorroller an einem vorbeiknattert. Gelingt es uns sonst innerhalb von ein paar Tagen, ein Gefühl für die Kultur, Umgangsformen, Sitten, Gebräuche und Preise eines Landes zu entwickeln, wurden in Marokko alle Regeln in jeder Stadt neu definiert. (Andererseits wenig verwunderlich in einem Land, in dem der Preis der Waren anhand von Faktoren wie dem Stand der Sonne, der persönlichen Befindlichkeit oder dem Gesichtsaus- und Gesamteindruck des Gegenübers festgelegt wird — wobei „festgelegt“ auf den Märkten hier ein durchaus dehnbarer Begriff ist.)

Star Wars wurde zwar in Tunesien gedreht, aber einige Jedi-Meister halten sich noch heute in den Bergen Marokkos vor dem Imperium versteckt. Bild links: Luke Skywalker, unbekannter Alien, Ben Kenobi; Bild rechts: The Last Jedi?

Auch wenn 99 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, würden wir Marokko dem „gemäßigten Islam“ zuordnen. Touri-Knigge für das Land raten zwar dazu, sich nicht zu freizügig zu geben und Schultern und Knie zu bedecken, aber diese Regeln scheinen für die Besucher ebenso dehnbar wie für die marokkanischen Frauen selbst. Zwischen Vollverschleierung, bedecktem Haupthaar, hervorlugendem Haaransatz, neckisch gelösten Strähnen und offen herabfallendem Haar haben wir hier alle Varianten gesehen. Und dann war da noch die Bankangestellte in Marrakesch, deren kurzes Röckchen gerade so ihren Oberschenkel touchierte. Kenn sich da einer aus …

Man beachte auch, dass es in Marokko bereits Cyber Internet gibt.

Die typischen Unterkünfte in Marokko sind Riads, traditionelle Häuser mit einem Innenhof oder Garten (arabisch riyāḍ).
„Hier kann es nicht sein“, sagen wir uns, als wir auf der Suche nach unserem Quartier zwischen fensterlosen meterhohen uralten Mauern, von denen der sandfarbene Putz bröckelte, durch ein scheinbar endloses Labyrinth immergleicher Gassen liefen, doch dann tat sich in der Wand plötzlich ein metallbeschlagenes Tor auf — und dahinter eine Oase inmitten der geschäftig lärmenden Altstadt.

Am Ende unserer Reise noch einmal drei Wochen Sonne zu tanken, erwies sich als genau richtige Entscheidung. Zudem Marokko nach Australien und Kanada zum Schluss noch einmal eine exotische Abwechslung bot. Als wir hinter dem Atlasgebirge im Süden des Landes Kamelen begegneten, fühlten wir uns beinahe wieder wie in Jordanien acht Monate zuvor.

Und der Bierpreisvergleich? In einem islamischen Land, in dem der Koran den Alkoholkonsum verbietet, schwierig, aber ein Glas frisch gepresster Orangensaft kostet weniger als 1,50 Euro ;-).

Titel: Die offizielle Staatsbezeichnung von Marokko lautet al-Mamlaka al-Maghribīya, „Das Königreich des Sonnenuntergangs“.
Filmtipp: Alejandro González Iñárritus großartiger Episodenfilm Babel spielt an Schauplätzen in Mexiko, Japan und Marokko.

2 Gedanken zu „Im Königreich des Sonnenuntergangs

  1. ich dachte immer, um ein drittel herunter zu handeln waere gut, habe aber gelernt, dass man auf ein drittel herunter handeln muss, manchmal fehlt einem bei rundreisen einfach nur die zeit, an der sprache liegt es meist nicht, da zahlen immer auf dem taschenrechner angezeigt werden koennen…schade nur, dass ich nicht mit auf dem markt war!

    1. Das ist wahr. Und im Gegensatz zu Asien, wo wir gute Erfahrungen damit gemacht haben, bei einem festen Preis zu bleiben, den man zu zahlen bereit ist, erwarten die Händler hier, dass man ihnen ebenfalls entgegenkommt, so dass man schon mit weniger als einem Drittel in die Verhandlungen einsteigen muss.

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