Die Insel der Seefrauen

Die Insel der Seefrauen

Die Vulkaninsel Jeju südlich der koreanischen Halbinsel, ein mystischer Ort voller Schamanen und unzähliger Gottheiten, lag noch bis vor einhundert Jahren völlig isoliert. Einzig politische Verbannte aus dem Reich der Joseon-Dynastie brachten Neuigkeiten aus der Welt draußen auf das abgelegene Eiland.

Jeju ist auch die Heimat der Haenyo, „Seefrauen“, die durch ein hartes Training, das in der Kindheit beginnt, drei bis vier Minuten unter Wasser bleiben und bis zu zwanzig Meter tief tauchen können, um Meeresfrüchte zu ernten. Nachdem diese Arbeit bei Männern im 18. Jahrhundert mit Steuern belegt worden war, begannen deren steuerbefreite Ehefrauen zu tauchen. Eine Tradition, die über Generationen hinweg von den Müttern an die Töchter weitervermittelt wurde, und eine Kultur, die die UNESCO 2016 auf die „Liste des immateriellen Weltkulturerbes“ gesetzt hat.

Haenyo am Strand von Jeju

Darstellung traditioneller Haenyo im Haenyo Museum

Haenyo im Teddy Bear Museum auf Jeju

Von den Haenyo, aber auch die traurige Geschichte der „Trostfrauen“, koreanischen Mädchen, die während der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg als Zwangsprostituierte entführt und in Militärbordellen brutal missbraucht wurden, erzählt Mary Lynn Bracht in ihrem Roman Und über mir das Meer. Auch der Aufstand der Inselbewohner Jejus im Jahr 1948, der von rechtsgerichteten Paramilitärs in einem genozidähnlichen Massaker niedergeschlagen und von der Regierung jahrzehntelang totgeschwiegen wurde, wird darin beschrieben. In seiner ungeschönten Schilderung der Ereignisse alles andere als leichte Unterhaltung, aber dennoch in sehr schöner Sprache geschrieben, können wir das Buch jedem empfehlen, der sich für diesen Teil der koreanisch-japanischen Geschichte interessiert.

Seit den siebziger Jahren ist die auch als „Hawaii Koreas“ bekannte Insel im Süden mit ihrem subtropischen Klima Ziel vieler koreanischer Frischvermählter (denen Auslandsreisen während des Kalten Krieges nicht gestattet waren). In Zeiten von No-Sex-until-Marriage und arrangierten Ehen war der Honeymoon auf Jeju für viele Paare die erste Gelegenheit, einander näherzukommen, den anderen gar zu berühren. An jene Zeiten, in denen den Einrichtungen der Insel damit eine Rolle in der sexuellen Aufklärung der Newlyweds zukam (und, in einem Land der überalterten Moralvorstellungen, immer noch zukommt?!), erinnert das Jeju Loveland, ein von Studenten der Kunsthochschule in Seoul gestalteter Skulpturenpark voller riesengroßer Phalli, kopulierender Statuen und interaktiv agierender Figuren.*

Heute lebt Jeju in erster Linie von Touristen wie uns. Mit mildem Klima, vulkanisch geprägter Landschaft, schönen Stränden und viel Grün, aber auch mit Attraktionen wie dem Haenyo Museum, das das harte Leben der Seefrauen dokumentiert und honoriert.

Lavatunnel unter der Vulkaninsel

In die Schlagzeilen kam Jeju zuletzt wegen eines Themas, das eine andere Seite der koreanischen Kultur offenbart. 550 Flüchtlinge aus dem bürgerkriegserschütterten Jemen, die bis nach Malaysia gelangt waren, nutzen eine neue Billigflugverbindung von Kuala Lumpur auf die für Jemeniten ebenfalls visafreie südkoreanische Insel. Die Reaktion der Bevölkerung: lautstarke Proteste, empörte Sprechchöre, fremdenfeindliche Transparente. 700.000 Südkoreaner unterschrieben eine Petition gegen die Flüchtlinge, die seitdem Jeju nicht verlassen können. Was unserem Aufenthalt im Land, in dem uns bislang alle sehr freundlich und höflich begegnet sind, einen leicht unangenehmen Beigeschmack gibt. Denn Fremdenfeindlichkeit ist in Südkorea, wo die „Ein-Blut-Lehre“ erst auf Druck der Vereinten Nationen im Jahr 2007 aus dem Lehrplan der Schulen entfernt wurde, durchaus ein Thema. Bleibt zu hoffen, dass nach den rasanten Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte sich auch dieses Verhalten in naher Zukunft ändern wird.

* Haben wir, bereits verheiratet, jetzt mal ausgelassen, bleibt also eurer Phantasie überlassen.

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