Going Mobile

Going Mobile

Reisen im Camper gilt bei vielen als die ultimative Freiheit. Klingt ja auch verlockend: Du hast all dein Zeug dabei, kannst fahren, wohin du willst, abends hältst du einfach auf einem dunklen kiesknirschenden Parkplatz und wirst morgens vom Geräusch des Meeres geweckt, das direkt vor deinen Füßen an den Strand brandet, während sich vor deiner Wagentür der Blick auf eine traumhafte Bucht ausbreitet.

Wer uns kennt, weiß, dass Camping nicht unbedingt unser Ding ist. Andererseits gibt es, will man die beieinander gelegenen Banff- und Jasper-Nationalparks westlich von Calgary besuchen, nur wenig Alternativen (und schon gar keine bezahlbaren). Aber was ist Reisen, wenn man nicht auch Neues ausprobiert und die eigene Komfortzone verlässt, dachten wir uns, vielleicht werden aus uns ja noch echte Dauercamper?

Unsere Vorbereitungen begannen bereits ein Jahr vorher an Gelis Geburtstag, als sich unsere Alter Legos mit ihrem neuen mit allem Schnickschnack ausgestatteten Wohnmobil vertraut machten.

So langsam kamen wir auf den Geschmack.

Nur: Wir wollten Kanada mit dem Camper erkunden. Ein Plan, der uns bereits im Januar (denn in der Hauptsaison sind die Campingplätze in den Nationalparks alle langfristig ausgebucht) auf Websites führte, deren User Experience bestenfalls als Vintage Design durchgehen konnte, während gleichzeitig die Anmeldefrist countdownartig herunterzählte, bevor der Run auf die begehrten Plätze begann. Dazu der Hinweis, dass der größte Campingplatz in den Parks mit 700 Stellplätzen in dieser Saison wegen Renovierung geschlossen war. Wir sind ja eigentlich Menschen, die gerne planen, aber Campgrounds in Kanada zu buchen wurde zu einem der wenigen unentspannten Momente während unserer Reisevorbereitungen.

Hinzu kommt, wie wir lernten, dass wildes Camping in Kanada bei Strafe verboten ist. Nichts also mit Du-lässt-dich-treiben-wohin-dein-Navi-dich-verschlägt-und-hältst-einfach-unter-der-nächsten-Tanne-an. Stattdessen Horrorgeschichten von Paaren, die abends einfach keinen Stellplatz mehr gefunden und schließlich am Straßenrand geparkt hatten, bis mitten in den Nacht ein Officer an ihr Fenster klopfte: „500 dollar, please.“

Was am Ende dazu führte, das wir Nationalparks in Kanada noch mal grundsätzlich infrage stellten. Doch die Bilder gebirgsquellwasserklarer türkisfarbener Bergseen vor endlos tannenbewaldeten Hügelketten überzeugten uns am Ende dann doch.
Und es sieht wirklich so aus:

Ein wenig aufgeregt waren wir dann schon, als wir im Fahrstuhl von unserem Hotelzimmer im 22. Stock mit Blick über Calgary hinunter zum letzten Frühstücksbuffet in der Zivilisation fuhren. Unser erster Camping-Trip. Wie würden die kommenden acht Tage mit und in unserem mobilen Eigenheim in der Wildnis zwischen Bäumen, Bergen und Bären in der freien Natur und ohne Internet verlaufen? Andererseits war das natürlich alles verwöhnte Städteranstellerei, denn während wir im Wohnmobil nachts die Heizung einschalten konnten, schliefen die Naturburschen und -mädels nebenan bei zwei Grad in ihren Zelten. Kaum war jedoch am nächsten Tag die Sonne draußen, konnten wir bei Temperaturen um die 22 Grad im T-Shirt die Gegend erkunden.

Nach einer kurzen Einführung an der Vermietstation in die gefühlt 2865 Funktionen unserer rollenden Behausung (die sich gegen die reisebusgroßen Campinggeschütze, denen wir unterwegs begegneten, allerdings eher bescheiden ausnahm) rumpelten wir vom Parkplatz und starteten in Richtung Nationalparks.

Hatte die Landschaft zu Beginn unserer Fahrt noch an Schleswig-Holstein erinnert, grüne Wiesen voller Heurollen, viel Landwirtschaft und vereinzelte Ölförderpumpen, fuhren wir nur 150 Kilometer entfernt in Banff durch eine Gegend mit geradezu alpinem Flair — und einem über dem Ort thronenden Grand Budapest Hotel.

Ganz so nobel residierten wir nicht. Denn unserviced Campgrounds in Kanada sind nicht wie Campingplätze in Deutschland mit Dauercamperbereich, Vorzeltidylle und Gartenzwergvorgarten, die durchschnittliche Campsite in den Nationalparks ist ein Stück gerodeter, planierter Boden von der Fläche eines Campers mit einem Picknicktisch und einer Feuerstelle mitten im Wald.

Oder, wenn wie in Teilen des Jasper Nationalparks Pine Beetles ihr Unwesen trieben (keine kanadische Popgruppe, sondern fiese Bergkiefernkäfer, die ihre Larven unter der Baumrinde ablegen und dabei einen Pilz hinterlassen, der die Bäume zuerst rötlich färbt, dann grau und sie schließlich absterben lässt), in einer postapokalyptisch anmutenden Umgebung voller krankhaft brauner und vollständig entnadelter Baumgerippe.

Dafür dann aber am nächsten Morgen Frühstück mit Eichhörnchen.



Und Schwarzbären am Straßenrand.



An Bord der Adventurer kehrte unterdessen Alltag ein.

Die Besatzung machte sich mit den Dimensionen (3,4 × 2,3 × 6,3 Meter), mit der Strom-, Gas- und Wasserversorgung und mit dem berüchtigten Dumping vertraut. Denn Black Water und Grey Water sind nicht etwa malerische Creeks, sondern übel riechende Abwassergruben, in die die Abwässer des Wohnmobils geleitet werden (kein Foto dazu).

Doch schon nach der ersten Nacht hatten wir uns in unsere neue Situation eingefunden und fragten uns nicht mehr, wo ist die nächste Toilette (an Bord), wo gehen wir abendessen (wo wir gerade sind) und haben wir genug Wasser dabei (gallonenweise).

Das größte Problem bei unserer Fahrt durch die mehr als 17.000 Quadratkilometer großen Nationalparks erwies sich hingegen als ein ganz anderes: Wir fanden keinen Parkplatz. Hatte man uns im Walmart, wo man das Campingklopapier bereits aus den Gängen geräumt hatte, noch erzählt, die Hauptsaison ginge dem Ende zu, waren die Campgrounds entlang unserer Route fast vollständig ausgebucht und die Attraktionen (die sich meist durch in den Straßengräben geparkte Fahrzeugreihen ankündigten) allesamt überlaufen.

Wie gut, dass wir unsere Glacier Adventure Tour schon vorab gebucht hatten.

Und die ultimative Freiheit? Die endete spätestens am langen Labour-Day-Wochenende, als auf den Campingplätzen schon allein der Besitz von Alkohol verboten war. So weit zum Thema liberales Cannabis-Land, in dem man abends nicht mal ein Bier am Lagerfeuer trinken durfte.

Doch trotz aller kleinkarierten Regularien und der Menschenmassen in den Parks haben sich die acht Tage durch die Nationalparks Kanadas mit ihren Postkartenmotivlandschaften definitiv gelohnt.



Bei Unterkunftspreisen zwischen 200 und 700 Euro pro Nacht (die selbst Island in den Schatten stellen) war die Fahrt im Camper zudem alternativlos und für uns auf jeden Fall ein Abenteuer, auch wenn wir sagen können: Weltreise #3 wird keine Camping-Tour.

Zum Anhören: The Who, „Going Mobile“
Zum Ansehen: Verwirrte ältere Menschen im Wohnmobil unterwegs in Paolo Virzìs Film Das Leuchten der Erinnerung

8 Gedanken zu „Going Mobile

  1. Ihr Lieben, wirklich wunderschöne Fotos!
    Wir waren ja gerade letztes Wochenende auf der Caravan-Salon in Düsseldorf und haben das Gefährt für unsere zweite Reise näher eingekreist 😀

  2. Als alter Bulli-ist ist mir diese Fahrzeug natürlich viel zu groß, aber ich habe die Hoffnung, das Eure erste Tat nicht die Ausrichtung der Satelliten-Schüssel war und ihr dann im Fahrzeug gesessen und euch Naturfilme angesehen habt…
    Aber toll, dass Ihr Euch diese spektakuläre Natur nicht habt entgehen lassen. Wirklich schöne Bilder. Aber etwas mehr Abenteuer mit Bären hatte ich schon erwartet…
    Ich habe jedenfalls sehrt große Lust, meinen Schreibtisch gegen einen Kanadier zu tauschen!

    1. Bären hätten wir auch gern mehr gesehen — obwohl, wenn du die Warnschilder überall liest, bist du ganz froh, wenn beim Frühstück Eichhörnchen und kein Grizzly an deinem Campingtisch steht.
      Statt Bärenglöckchen zu tragen, haben wir im Wald immer laut gesungen, was nicht nur zu einer Stampede aus Bären und Elchen, die Hufe auf die Ohren gepresst, geführt hat, sondern vermutlich auch zu einem Exodus der Touristenmassen im Gehölz. 😉

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