Inside The Beast

Inside The Beast

From Ben Gurion Airport take a train to Tel Aviv Hahagana Station, schrieb unser Airbnb-Host in seiner Anfahrtsbeschreibung. Walk to the „new“ central bus station and take bus number 41. Alles kein Problem. Mal eben an der zweitgrößten Busstation der Welt Bus Nummer 41 nehmen. Optimistisch steuerten wir den nächsten Eingang des Busbahnhofs an und schoben unsere Rollrucksäcke neben dem Mann mit dem Maschinengewehr im Arm durch den Gepäckscanner.

Die „neue“ Tel Aviv Central Bus Station, liebevoll „The Beast“ genannt, wurde 1993 nach 26-jähriger Planungs- und Bauzeit eingeweiht. Ein Musterbeispiel des Brutalismus, das neben Busbahnsteigen auf sechs Etagen ein Einkaufserlebnis mit 1000 Ladengeschäften bot. Das Konzept sah vor, dass sich ankommende Reisende im ebenerdigen Level 4 des Ungetüms mit mangelhafter Beschilderung derart desorientiert fühlen würden, dass sie in ihrer Verwirrung in einem der unzähligen Geschäfte auf ihrem Weg durch das Labyrinth etwas kauften. (Wir googelten kurz, ob der Architekt des Busbahnhofs auch den Frankfurter Flughafen entworfen hatte, doch dieser Verdacht erhärtete sich nicht.)
1998 wurde ein weiterer Level 7 auf dem Dach hinzugefügt, so dass Busse zukünftig nicht mehr von den unterirdischen Ebenen abfahren mussten, was den Geschäften auf Level 1–3 den Todesstoß versetzte. Der Betonkoloss verfiel. 2012 meldeten die Eigentümer Insolvenz an.

Nachdem wir uns am Abend unserer Ankunft binnen Minuten eins a in dem Gewirr aus Rolltreppen, Betonrampen und kryptischen Hinweisschildern verirrt hatten, suchten wir nur noch den nächsten Ausgang und nahmen draußen ein Taxi. Vier Tage später kehrten wir ohne schweres Gepäck, aber mit Kameras zurück. Denn das Biest ist nicht nur Fahrgastlabyrinth, sondern auch Touristenattraktion (ein Interesse für Lost Places vorausgesetzt).

Was wir nicht erwartet hätten, als wir die Philippinen gegen Israel als Reiseland tauschten, war, in einem Busbahnhof in Tel Aviv auf einen philippinischen Markt zu stoßen. Doch zwischen den bunten Shops und Markständen auf der zentralen Ebene wehte uns plötzlich ein Hauch von Südostasien an — sowie der Geruch billiger Plastikprodukte.

Über verdreckte Treppenhäuser und verstaubte Rolltreppen gelangten wir weiter hinunter in den Bauch der Bestie. Waren auf Level 3 noch einige wenige Ladenlokale erleuchtet (wie musste es sein, hier unten zu arbeiten?), fanden wir die untersten beiden Ebenen völlig verlassen vor.

Einzig die Hinweise auf den „Shelter“, den größten Schutzbunker des Landes, lieferten einen Grund, warum hier unten noch Licht brannte. Die Schreie der Fledermäuse von der Decke trugen zur Unheimlichkeit des Ortes bei, und wir sahen zu, dass wir wieder nach oben kamen.

Weiter über Rampen und stillstehende Rolltreppen hinauf, am verblassten Logo einer aufgegebenen Burger-King-Filiale vorbei, entdeckten wir in einigen der verwaisten Ladenflächen alternative Kunstgalerien.

Und auf Ebene 7, wo es endlich wieder Tageslicht und tatsächlich auch Passagiere gab, fanden wir nach dem Eddinggeschmiere der unteren Etagen eine Street-Art-Galerie.

Wie absurd, dass in diesem Gebäude, an dem ein Vierteljahrhundert lang gebaut wurde, am Ende nur der zusätzlich aufgesetzte Wellblechhangar wirklich genutzt wird. Aber was sollen wir sagen, aus Hamburg-Altona, mit unserem Einkaufszentrum mit Gleisanschluss.

5 Gedanken zu „Inside The Beast

  1. frage: level 1 -3 ist unterirdisch, ab level 7 koennen busse ebenerdig fahren – und was ist mit 4 – 6? haengen in der luft? das habe ich nicht verstanden

    1. Ja, verwirrend. Level 1–3 sind unterirdisch, Level 4 ist ebenerdig, aber da hält kein Bus, und für die Busse auf Level 5, 6 und 7 hat man gigantische Betonrampen gebaut, die die umliegenden Straßenzüge in ewigen Schatten tauchen.
      Gut aufgepasst, damit hätten die Etagen 4–6 theoretisch Tageslicht, wenn jemand an Fenster gedacht hätte.

  2. Kurios, in Haifa dasselbe Bild: Seit sie vor fünfzehn Jahren durch zwei neue Busterminals im Norden und Süden abgelöst wurde, steht der Betonkoloss der alten Busstation im Stadtzentrum heute leer, hübsch dokumentiert von Michael Minn unter dem Titel Crumbling brutalism.

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